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22. Januar 2020115 Jahre Tagblatt: Wechselvolle Aufbauarbeit
Journalismus ist Literatur in Eile. Matthew Arnold
Im Hinterhaus der Buchhandlung Wunder in der Bahnhofstraße 17 erschien vier Jahre lang der „Anzeiger für Schifferstadt”, die Zeitung, die sich ab dem 1. Januar 1906 „Schifferstadter Anzeiger” nannte. „Bote vom Rehbach” (29. November 1917) und „Rehbach-Bote“ waren Titel, ehe die Zeitung am 1. Januar 1927 in „Schifferstadter Tagblatt“ umbenannt wurde, der Name, der heute noch gilt.
Am 21. September 1912 erfolgte die Umsiedlung in das neuerbaute Wohnhaus mit Betriebswerkstätte, die folgendermaßen angekündigt worden war: „Die Buchdruckerei Geier und Geschäftsstelle des „Schifferstadter Anzeigers“ befindet sich von jetzt an im Neubau Eisenbahnstraße 70, neben dem Königl. Postamt.“ Dass aber auch in kleineren Räumlichkeiten schon beachtliche Drucksachen hergestellt werden konnten zeigt das Jahr 1910, in dem das erste Schifferstadter Einwohnerbuch von Emil Geier herausgegeben wurde.
Am Samstag, 1. August 1914 erschien auf der Titelseite der Mobilmachungsbefehl für den 2. August und der Landsturmaufruf für den 9. August. „Seine Majestät der König haben die Mobilmachung der Armee befohlen”, hieß es dabei in der Bekanntmachung. „Sämtliche Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften des Beurlaubtenstandes, einschließlich der Ersatzreservisten haben sich zu der auf den Kriegsbeorderungen angegebenen Zeit an dem bezeichneten Orte pünktlich einzufinden”, hieß es dabei.
Der Erste Weltkrieg warf ab 1914 alles Bestehende über den Haufen, das Erscheinen der Zeitung war in dieser Phase mehr als einmal in Frage gestellt. Als dann auch noch der Verleger selbst für längere Zeit zum Heeresdienst einberufen wurde, konnte der Betrieb nur notdürftig am Laufen gehalten werden. In dieser schweren Zeit wurde der „Schifferstadter Anzeiger” oder „Bote vom Rehbach”, wie er ab 1917 hieß, zum Vermittler der Heimatnachrichten an die Soldaten im Stellungskrieg in den Schützengräben.
Hunderte von Exemplare wurden per Feldpost an die Soldaten geschickt, die die Meldungen aus der Heimat sehnsüchtig erwarteten, dadurch zumindest ein wenig mit Schifferstadt verbunden waren. Auf einem alten Archivbild sind vor ihrem Unterstand im Ersten Weltkrieg Philipp Keßler aus der Großen Kapellenstraße, Valentin Fouquet aus der Wagnerstraße und Wilhelm Mayer aus der Hauptstraße bei der Lektüre des „Bote vom Rehbach“ zu sehen.
Nicht nur Schifferstadt litt unter den Entbehrungen des Krieges, doch durch die traditonell beheimatete Landwirtschaft war die Versorgungslage wesentlich besser. So gut, dass sogar von überall her die berühmt-berüchtigten „Hamsterfahrten” stattfanden und Schifferstadt regelrecht überrannt wurde.
So berichtet der „Bote vom Rehbach“ in der Ausgabe vom 17. Juli 1917, „dass die Jagd auf neue Kartoffeln hierorts groteske Formen angenommen hat. Obwohl die Ausfuhr von Kartoffeln aus dem Kommunalverbandsbezirk verboten ist, steht man der Wucht auf unser Dorf machtlos gegenüber. Die Angreifer kommen in großen Scharen aus Ludwigshafen, vom Gebirge, ja sogar aus dem Saargebiet. Am Samstag war es für Einheimische, die sich auf friedliche Weise ihre Kartoffeln beim Landwirt im Hofe erstehen wollten, unmöglich, solche zu erhalten, da Wagen schon auf der Heimfahrt von den Kartoffelsuchern sozusagen geplündert wurden. Noch schlimmer ist es gestern hergegangen. In Scharen begleitete man den Bauersmann auf den Acker und deckte gleich vom Stock weg seinen Bedarf. Dass es unter solchen Umständen nicht mit rechten Dingen zugeht, lässt sich denken. Auf Schleich- und Umwegen kehren dann die Angreifer in ihre Ausgangsstellung zurück. Da Schifferstadt angewiesen ist, sich selbst zu versorgen, kann eine solche Vorgehensweise recht bedenklich werden. Strengere Maßregeln wären deshalb sehr am Platze“.
Nach der Rationierung und Zuteilung von Lebensmitteln ab 1915 standen für Normalverbraucher nur 1200 Kalorien zur Verfügung, statt wie in Vorkriegszeiten 3400. Demzufolge stieg die Sterblichkeit stark an. Eine Grippewelle, die im Oktober und November 1918 ihren Höhepunkt erreichte, forderte viele Todesopfer in der Bevölkerung, darunter besonders weibliche Personen. Allein am 6. November 1918 wurden im „Bote vom Rehbach“ sechs Todesanzeigen veröffentlicht, für deren Tod die mangelhafte Ernährung zumindest mitverantwortlich war.
Alle Welt klagt über den Journalismus, und jedermann möchte ihn für sich benutzen. Gustav Freytag, deutscher Schriftsteller (1816-1895)