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Das Zeitungslesen des Morgens ist eine Art von realistischem Morgensegens. Georg Friedrich Wilhelm Hegel
Eines der schwersten politischen Verbrechen, das je die Welt schaute, hat sich am Sonntag in der bosnischen Hauptstadt Serajewo ereignet, dem der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand nebst Gemahlin Herzogin Hohenberg zum Opfer fielen”, schrieb der „Anzeiger” in der Dienstagausgabe des 30. Juni 1914. Dem Bombenwurf des Schriftsetzers Cobrenovic aus Trebinje (Herzegowina) war das Paar am 28. Juni noch entkommen, doch wenig später, nach dem festlichen Empfang bei der Rundfahrt durch die Stadt, schoss der Gymnasiast der achten Klasse, Gavrilo Pricip aus Grahovo, mit einer Browningpistole. Er traf den Thronfolger im Gesicht und seine Gemahlin im Unterleib, beide erlagen ihren Verletzungen.
Österreich-Ungarn und Serbien brachen die diplomatischen Beziehungen ab. „Die Nachricht von dem Ablauf der diplomatischen Beziehungen löste in Wien und Budapest große Begeisterung aus. Aber auch in Deutschland, in Berlin, Leipzig, München usw. fanden begeisterte Kundgebungen statt”, schrieb der „Anzeiger” am Dienstag, 28. Juli. „Die Lage ist ernst, sehr ernst, aber doch nicht hoffnungslos. Wir wünschen und hoffen, dass die leitenden Politiker Europas Mittel und Wege finden, damit der Weltkrieg verhindert wird und Europa sich nicht des schwersten Verbrechens der Weltgeschichte schuldig macht”, hieß es in dem Artikel unter der Überschrift „Krieg!” weiter. Die Hoffnung darauf war aber schnell verflogen, denn schon am 1. August brachte der „Anzeiger” auf der Titelseite die Meldung: „Mobilmachungsbefehl und Landsturmaufruf soeben eingetroffen.”
Plakate verkündeten in großen Lettern die Mobilmachung, es war eine große Unruhe, viel Bewegung im Dorf. Von morgens bis abends strömten in den folgenden Tagen „Menschenmengen zum Bahnhof”, den einrückenden Soldaten wurde ein „Hurra” zugerufen, sie freudig verabschiedet. Die Euphorie war wie im gesamten Deutschen Reich spürbar, für einen schnellen Kriegsverlauf mit einem Sieg schien alles zu sprechen, denn man fühlte sich ja im Recht. Es herrschte Hochstimmung, zu der auch eine gezielte Propaganda beitrug. Das Deutsche Reich war sicher, den Krieg bis Weihnachten 1914 beendet zu haben. Natürlich erfolgreich und so kam schon bald die erste Enttäuschung, als von einem raschen Ende nichts zu lesen war. Neun Schifferstadter Tote waren in den ersten acht Wochen zu beklagen, insgesamt fielen von den rund 1500 eingezogenen Soldaten 166, 28 wurde vermisst und viele hunderte verwundet. Einer der früh Gefallenen war Jakob Schwind, der in den Kämpfen in den Karpaten im Mai 1915 fiel. Er hatte eine ganz besondere Beziehung zum „Schifferstadter Anzeiger”.
Jakob Schwind war Lehrer und gefiel den Lesern des „Anzeigers” vor allem durch seine veröffentlichten Gedichte. Hunger, Not und Sorge um die Familienmitglieder an der Front machten sich breit, Schifferstadt wurde Lazarettort, blieb auch durch die Nähe von Ludwigshafen mit der Schwefelfabrik Giulini und der Anilin- und Sodafabrik von Bombardierungen bei Luftangriffen nicht verschont.
Das Problem der Zeitungs- berichterstattung liegt darin, dass das Normale uninteressant ist. Saul Bellow